Ein Gipfelgespräch zwischen Schneeberg und Rax.

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Viele Geschichten, Mythen und Erzählungen ranken sich um die Charakteristik der beiden Berge.

Oft spricht man von ihnen wie von einem gegensätzlichen Paar, das nicht mit- aber auch nicht ohne einander kann.

Im Süden Niederösterreichs erhebt sich das Dach von Wien. Ein Bergmassiv, an dessen höchster Stelle zwei prominente Gipfel stehen: Raxalpe und Schneeberg. Die als Naherholungsgebiete und Wanderberge der Stadtmenschen gelten. Geteilt durch das wilde, enge Höllental, liegen gerade einmal 13 km zwischen den beiden Gipfeln. Und doch könnten sie in ihrer Erscheinung kaum unterschiedlicher sein: Während der Schneeberg von steilen Flanken, schroffen Zacken und starken Windböen geprägt ist, wirkt die Rax mit ihrem grünen Gipfelplateau und ihren sanft abfallenden Rücken beinahe lieblich.

Ein Gipfelgespräch:

Sagt der Schneeberg zur Rax: „Ich bin größer.“
„Ich weiß“, antwortet die Rax.
„Willst du auch wissen warum?“, fragt der Schneeberg.
„Nein“, erwidert die Rax gelangweilt.
„Ich erzähl es dir trotzdem …“
„Ich kenn die Geschichte“, fällt die Rax dem Schneeberg ins Wort, „da ist einer gekommen, der hat uns vermessen und festgestellt …“
„Dass ich größer bin!“, ruft der Schneeberg stolz.
„Ja, er hat aber auch gesagt …“
„Dass ich der höchste Berg Niederösterreichs bin?“, fragt der Schneeberg.
„Nein, also ja, das stimmt, aber …“
„Ich weiß, dass es stimmt, ich steh ja hier“, grinst der Schneeberg zufrieden.
„Lässt du mich bitte einmal ausreden?“, ruft die Rax gegen den Wind.
„Du erhebst den Degen? Gegen mich?“
„Nein du seniler Felsriegel, ich wollte sagen, dass dieser Mensch zwar festgestellt hat, dass du höher bist, ich aber schöner.“
„Und das glaubst du?“, fragt der Schneeberg missbilligend.
„Nun ja, du glaubst ihm ja auch, dass du größer bist, oder?“
„Natürlich, aber das eine ist Wissenschaft und das andere romantisches Geplänkel“, sagt der Schneeberg.
„Und warum kommen dann mehr Menschen zu mir herauf als zu dir?“,
sagt die Rax mit lauter Stimme.
„Weil sie Angst vor der Höhe haben.“
„Als ob 70 m so einen Unterschied machen würden.“
„In der Höhe schon, kannst ja deinen Freund, den Viktor, fragen“, sagt der Schneeberg hämisch.
„Du bist ja nur neidisch, dass er mich lieber mochte als dich.“
„Der hat bloß Angst vor mir gehabt, deswegen war er so selten da.“
„Das stimmt nicht, der Viktor hat sich immer seiner Angst gestellt, das war ja der Grund für ihn …“
„Für was? Zum Umdrehen?“
„Jetzt solltest du besser aufpassen, was du sagst.“
„Sonst passiert was? Wirfst du mit Grasbällchen nach mir?“
„Ich bin ein friedlicher Gipfel, so etwas würde ich nicht tun.“
„Du bist ein lächerlicher Gipfel, flach und grün.“
„Musst du jetzt wieder darauf herumreiten? Ich bin halt anmutig,
du eher steinig und …“
„Und was?“
„Windig! Du sturer Felshaufen.“
„Was sagst du?“, brüllt der Schneeberg gegen den Sturm.
„Schwerhörig warst du auch schon immer“, murmelt die Rax.
„Du bist mir hörig?“, sagt der Schneeberg, „Sehr gut, so sollte es
auch sein, schließlich bin ich hier der Höchste.“
„Und eingebildet warst du auch schon immer.“
„Ein Gebilde bin ich, sagst du? Das ist schmeichelhaft, kleiner Bruder.“
„Nenne mich nicht so, bitte. Ich bin ein eigenständiger Berg.“
„Der aber immer hinter mir stehen wird …“
„Dafür hat die erste Seilbahn Österreichs zu mir nach oben geführt,
nicht zu dir“
, erwidert die Rax.
„Wen interessieren schon Seilbahnen? Einen Zug, eine ganze Dampflok haben sie für mich gebaut – das ist doch was!“ brüstet sich der Schneeberg.
„Du meinst den Salamander? Also ich weiß nicht so recht …“
„Was soll denn das heißen? Ein architektonisches Meisterwerk ist das, genauso wie die Elisabethkirche gleich neben der Bergstation –
was sagst du jetzt?“
, plustert sich der Schneeberg auf.
„Ich sag, dass es ein Kirchlein ist, heißt ja auch so.“
„Besser ein Kirchlein auf der Schulter als eine mickrige Kapelle
auf der Kuppe so wie du!“
„Diese Kuppe ist mein Gipfel, du Kalkklotz!“
„Ein flacher Gipfel wohlgemerkt“, neckt der Schneeberg die Rax.
„Oh Gott, jetzt geht das wieder los …“
„Dagegen hast du nichts in der Hand, ha?“
„Ich könnte jetzt sagen, dass die Kaiserbrunnquelle mehr Wasser
von mir speist als von dir“
, kichert die Rax.
„Und du wirst niemanden finden, der das bestätigt.“
„Zum Glück können die Menschen ja selbst entscheiden.“
„Im Idealfall kommen sie einfach zu mir – und damit Schluss!“
„Eine Sache wäre da noch …“
„Und zwar?“
„Seit neuestem ist beides möglich – mit einem Ticket!
„Sagt wer?“
„Heute morgen habe ich zwei Wanderer belauscht, die sind gestern bei dir mit dem Zug, und heute bei mir mit der Gondel hoch …“
„Die Zugfahrt war sicher gemütlicher.“
„Mag sein, aber verstehst du nicht, was das bedeutet?“
„Sehe ich etwa aus wie das Orakel von Puchberg?
„Dass wir ebenbürtig sind, großer Bruder.“
„Hmm … solange du mich so ansprichst, soll es mir recht sein.
Ich weiß, wer ich bin.“
„Ich auch“, sagt die Rax vergnügt.

 

 

 

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