Von giftig bis heilend

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Wild ist die Botanik in der Region um den Ötscher. Und wunderschön.

Es blüht, duftet und wächst in alle Richtungen – und manches davon hat sogar die Kraft, zu heilen. Naturvermittlerin Claudia Kubelka und Umweltpädagogin Katja Weirer geben Einblicke in die Pflanzenwelt rund um den Ötscher im Mostviertel. Dabei wird klar, dass Schönheit tückisch sein kann. Und dass diese Schönheit, wenn auch tückisch, nicht vor dem Klimawandel und anderen Einflüssen auf die Ökosysteme geschützt ist.

Wenn man Kräuterexpertin Claudia Kubelka nach den gängigsten Kräutern fragt, die in der Region rund um den Ötscher aus dem Boden sprießen, dann sprudelt ein Name nach dem anderen aus ihr heraus. Es ist die Rede von Baldrian und Beifuß, Brennnessel und Brunnenkresse, Frauenmantel und Holler, Königskerze und Löwenzahn. Von Mädesüß und Quendel, Rossminze und Schafgarbe, Schöllkraut, Spitzwegerich und Weidenröschen – die einen sind gut bei Halsschmerzen, die anderen beruhigen, die Dritten helfen bei Menstruationsbeschwerden.

Ein Pflanzenskript für den Ötscher

Man könnte problemlos ein Kräuteralphabet erstellen, würde man weiterfragen, alle Verarbeitungsarten und Darreichungsformen, von Tee über Tinktur bis zu Salbe und Öl inklusive. Wenn man es also genau wissen will, sollte man sich das Ganze mal vor Ort ansehen. Bei einer Kräuterwanderung mit Claudia Kubelka erfährt man dann wahrscheinlich auch, dass Mädesüß eine aspirinähnliche Wirkung hat und die ungeliebte Brennnessel eine Nährstoffbombe ist, die man von der Wurzel bis zur Blattspitze verarbeiten kann. Was man aber auf jeden Fall erfährt, wenn man mit offenen Sinnen an die Sache rangeht, ist Respekt: „Wer interessiert ist, geht sorgsamer mit den Pflanzen um“, so Claudia Kubelka.

Claudia Kubelka kennt die Kräuterwelt der Region wie kaum eine andere. „Kräuter, das ist so ein allgemeiner Begriff“, sagt sie. „Ich spreche lieber von höher entwickelten Pflanzen. Österreichweit haben wir davon über 3.000 und da zählen auch alle Kräuter dazu. Allein im Ötschergebiet haben wir ca. 800 Arten und davon werden ungefähr 10 % als Heilpflanzen verwendet“, sagt sie. „Wir haben also nicht nur ein paar Pflanzen, sondern jede Menge.“ Diese Artenvielfalt, auch Biodiversität genannt, ist der Beschaffenheit der Region rund um den Ötscher zu verdanken, einer alpinen Landschaft mit Schluchten, Wasserfällen und Wäldern, mit Moorlandschaften und Weiden – ein wildes Stück Erde, mitten in Niederösterreich.

Was man am Wegesrand unbedingt meiden sollte

Wo so viel Schönheit ist, muss man aber auch auf der Hut sein, vor allem, was Kräuter betrifft. Denn nicht alle sind harmlos. Und oft sind es die schönsten, die am giftigsten sind. „Ich denke da an die Tollkirsche, auch Belladonna genannt, oder an den wunderschön blaublühenden Eisenhut“, so Claudia Kubelka. Man muss sich schon auskennen, bevor man zugreift und sich einen Tee aufgießt oder eine Suppe kocht.

Zugreifen ist im Naturpark Ötscher-Tormäuer aber ohnehin nicht erlaubt, und auch sonst sollte man nur sammeln, was man kennt und was nicht allzu rar ist, wie beispielsweise die Arnika. Johanniskraut, Rossminze, Baldrian und Brennnessel hingegen könne man in Nicht-Naturpark-Gegenden fast bedenkenlos pflücken. Das gilt auch für den Bärlauch, aber da ist besondere Vorsicht geboten, denn das knoblauchähnliche Kraut ist dem Maiglöckchen und der Herbstzeitlose zum Verwechseln ähnlich. „Wenn ich einen Strudel mit Herbstzeitlosen mache, dann ist der unter Garantie tödlich“, warnt die Expertin. Der Bärlauch hat zwar einen spezifischen Geruch, aber auch das kann trügerisch sein: „Wenn ich einmal ein Bärlauchblatt in der Hand hatte, dann riecht alles nach Bärlauch.“ Dazu kommt, dass sich diese Pflanzen in der Region um den Ötscher Orte teilen, da die Vegetationsperiode, also die Phase, in der sie wachsen, blühen und fruchten, relativ kurz ist und sie zur gleichen Zeit aus dem Boden sprießen.

Flucht und Einzug zugleich

Mit Vegetationsperioden kennt sich auch die Umweltpädagogin Katja Weirer aus. Sie sind in der alpinen Region um den Ötscher zwar kurz, werden aber aufgrund der klimatischen Veränderungen immer länger. „Dadurch wird es möglich, dass Landwirte Pflanzen anbauen, die hier bisher nicht wachsen konnten, wie zum Beispiel Getreide“, sagt sie. Dieses Beispiel zeigt eine der wenigen Chancen auf, die mit dem Klimawandel einhergehen, ansonsten steht man hier vor Herausforderungen: „Wie in anderen Regionen wird es auch bei uns trockener und wärmer. Darunter leidet hier vor allem die Fichte, die am häufigsten vorkommende Baumart in der Region. Auch Extremwetterereignisse wie Starkregen, Sturm und Hagel nehmen zu. Sturmböen legen teilweise ganze Wälder nieder“, sagt Katja Weirer.

Im Winter wiederum sei der Schneemangel problematisch, denn Schneedecken lassen Pflanzen bei einer konstanten Temperatur überwintern. „Wenn kein Schnee da ist und die Bedingungen milder werden, können sich auch andere Pflanzen verbreiten.“ Alpine Pflanzen sind aber an raue Bedingungen angepasst und nicht konkurrenzfähig, dadurch könnten sie Lebensraum verlieren. Das Klimaforschungszentrum Ötscher befasst sich mit Fragen wie diesen – und wie man den Auswirkungen des Klimawandels begegnen kann.

Die Seltenen und ganz Besonderen

Als Umweltpädagogin ist Katja Weirer viel in der wilden Flora unterwegs. Unter anderem machen sie und weitere Naturvermittler:innen des Naturparks auch geführte Touren in der Region. Ihr fallen sogleich mehrere Pflanzen ein, die charakteristisch für die Region sind. In ihren Erzählungen taucht oft ein Name auf: Clusius. Ein holländischer Botaniker, dem man die Erstbesteigung des Ötschers nachsagt und der in den Ostalpen als Erster mehrere Pflanzen beschrieben hat, die nun seinen Namen tragen: Clusius-Primel, Clusius-Enzian, Clusius-Schafgarbe; man kann sie bei einer speziellen Wandertour persönlich kennenlernen. „Das sind Pflanzen, die kommen nur in den Ostalpen vor“, sagt Katja Weirer, „das ist schon etwas Besonderes.“

Auch der Burser Steinbrech mit seinen kleinen weißen Blüten, die im Mai alle Felswände weiß färben, ist nirgendwo sonst auf der Welt anzutreffen. Orchideen wachsen hier ebenso, „da gibt es unscheinbare Arten wie das Zweiblatt, das man nur erkennt, wenn man von ihm weiß, und dann hat man aufregendere Arten wie den wirklich schönen, aber auch sehr seltenen Frauenschuh.“ Die gelben Blüten dieser Orchidee sehen aus wie kleine Pantoffeln und ihr Duft lockt Bienen an, die dann in die Pantoffeln hineinfliegen. Dort bleiben sie so lange gefangen, bis sie den einzigen Ausweg finden: eine enge, behaarte Öffnung. Wenn sie sich da durchzwängen, bestäuben sie die Pflanze. Auch in diesem Fall ist die Schönheit ein zweischneidiges Schwert. Aber zum Glück ist das nicht immer so. Denn ein Besuch im Naturpark Ötscher-Tormäuer ist einfach nur schön – und in keinster Weise tückisch.