Die im Spessart geborene Maria Happel ist nicht nur als Schauspielerin Wien, sondern auch seit langem mit den Wiener Alpen verbunden: Vor mehr als 20 Jahren stand sie erstmals bei den Festspielen Reichenau auf der Bühne, 2022 übernahm sie die Intendanz. Ein Gespräch über klare Luft, den Sommer am Land, Wildheit und Entschleunigung.
Maria Happel: Das ist ein großes Thema, weil das eine das andere bedingt. Allein die Landschaft und die Wildheit der Region hat die „wilden“ Künstler:innen immer angezogen und inspiriert. Ob in der Musik, Literatur oder Malerei: Das ist ein Ort, an dem sich viele kreative Menschen auf eine Art und Weise erkannt haben, oder in ihren schöpferischen Prozessen zur Ruhe gekommen sind.
Ich glaube, dass Tradition der Innovation vorausgehen muss. Das Potenzial war immer da, das hat sich bei den Festspielen bewährt. Toll ist, wie sich jeden Sommer eine Art Theatergemeinschaft bildet, Künstler:innen von rundherum kommen – von großen Theatern, der freien Szene oder dem Film, ganz durchmischt, wie auch das Publikum. Und jetzt passiert auch eine Verbindung zwischen Jung und Alt, weil die Schauspieler:innen der Zukunft mit den Erfahrenen spielen. Ich bin sicher, dass es für sie ein großer Spaß und auch eine Ernsthaftigkeit ist, wenn man sich im Sommer hier trifft und Erlebnisse hat, die in Erinnerung bleiben.
Maria Happel: Natürlich! Wie herrlich ist es, abends Theater zu spielen und tagsüber die Natur zu genießen! Wir gehen wandern, Rad fahren, schwimmen. Das ist wie ein großer Ausflug. Eine Anekdote: Eine Kollegin hatte einen Unfall und konnte nicht auftreten. Da haben sie mich aus dem Schwimmbad geholt und eine halbe Stunde später habe ich – noch mit meinem nassen Badeanzug unter einem Jahrhundertwendekostüm – statt ihr gespielt.
Wenn Sie die Einfahrt des Zuges in der Beschreibung von Stefan Zweig lesen, dann wissen Sie genau, wo das ist. Wenn Heimito von Doderer den Weg ins Dorfgasthaus in der Prein beschreibt, dann können Sie heute noch den Weg nachgehen und entdecken vieles in echt. Man kann wirklich auf den Spuren der Geschichte wandern. Und auch heute sind Künstler:innen da und lassen sich inspirieren. Man sucht prinzipiell wieder die Entschleunigung. Graz und Wien sind nah, man ist schnell draußen aus der Stadt und in der Natur und vielleicht auch in einer anderen Zeit. Wenn man in Payerbach aus dem Zug steigt, ist man etwa gleich durch die Architektur aus der ehemaligen Blütezeit verzaubert – und schon im Erholungsmodus.
Das war für mich mit ein Grund, hierher zu ziehen. Ich komme vom Land. Und zurückzukommen und zu wissen, es ist trotzdem in Stadtnähe, ist wunderbar. Hier draußen haben wir im Sommer acht Grad weniger als in der Stadt. Man schläft anders, die Luft ist anders. Ich habe heute schon in der Erde gewühlt. Es gibt nichts Beruhigenderes, als in der Natur zu sein und sich zu erden, im wahren Sinn des Wortes. Unser Haus ist oben am Semmering und dort habe ich das Gefühl, dass ich über den Dingen stehe. Man hat den Draufblick und es bleibt vieles hinter einem. Das hilft, klare Gedanken zu fassen. So klar wie die Luft in den Bergen. Die Region hat mich schon immer angezogen, und dass ich mich mit meinem Mann hier angesiedelt habe, ist für mich eine Fügung des Schicksals – das hat mit dem Zauber dieses Ortes zu tun.
Es ist auf eine Art ein magischer Ort, an dem schon so viele Vorgänger:innen gewirkt haben und gerne hier waren – das spürt man. Wir in der Jetztzeit können das nur bestätigen. Für meine Kinder waren hier die schönsten Sommerferien, auch von denen der Kolleg:innen. Es gibt eine kleine Reichenau-Clique von Kindern, die hier aufgewachsen und befreundet sind. Viele dieser Theatersommer-Kinder gehen auch in den Beruf. Das hat was zu sagen.
Ich gebe zu, dass es für mich ideal ist, auf den Berg rauf- und runterzufahren. Oder nur hinunterzugehen: Wie schön ist es, wenn man dann am Knappenhof ankommt. Ich erinnere mich auch an mein erstes Bergerlebnis hier: Ich bin mit meiner Schwester und Freunden mit der Seilbahn auf die Rax gefahren, wir wollten zum Ottohaus wandern. Meine Schwester hatte Slipper mit Absätzen an und wir kamen nicht weiter. Einer der Herren war so galant, dass er ihr seine Turnschuhe gegeben hat. Er ist in Socken weitergegangen und hatte sicher Blasen. Damals wusste ich noch nicht, wie wild die Bergnatur so nah der Stadt sein kann. Allein schon die Fahrt durchs Höllental, das heißt ja nicht umsonst so. Hier ist es nicht nur geschmeidig, sondern auch rau und verlangt einem was ab – diese Gegensätze finde ich toll.
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