Auf einem Streifzug durch die Landeshauptstadt

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Von charakteristischen Plätzen zu Baukultur und städtischen Kleinoden – und zu neuen Perspektiven: zu Fuß unterwegs mit Thomas Pulle vom Stadtmuseum St. Pölten.

Thomas Pulle ist profunder St. Pölten-Kenner. Mit uns streift der Leiter des Stadtmuseums auf einem Rundgang von Platz zu Platz, spaziert von Architekturikonen zu Hotspots der Stadtentwicklung und mitten in die Natur – und regt mit Geheimtipps zu neuen Blicken auf bewährte Pfade an.

Bevor Sie uns auf einen Spaziergang mitnehmen: Haben Sie als Leiter des Stadtmuseums Tipps, was im Stadtmuseum selbst besonders sehenswert ist?

Thomas Pulle: Die Jugendstil-Sammlung des Stadtmuseums St. Pölten ist zweifellos immer noch ein Geheimtipp. Unter den Highlights: der originale Einreichplan zum Olbrichhaus oder landläufig auch Stöhr-Haus, eines der bedeutendsten Jugendstilgebäude Niederösterreichs. Erbauer war kein Geringerer als der Architekt der Wiener Secession Joseph Maria Olbrich. Es ist eine der interessantesten Geschichten für mich, dass in einer Stadt, die um 1900 ca. 15.000 Einwohner:innen hatte, bedeutende Künstler:innen aus dem Kreis um Klimt oder Otto Wagner heranreiften. Diese Personen haben das kulturelle Klima der Stadt beeinflusst. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind bis heute sichtbar – nicht nur im Museum, auch in der Stadt!

Wo würden Sie dann Ihre Stadtführung starten?

Thomas Pulle: Ich würde beim Hauptbahnhof beginnen, weil hier viele ihre Erkundungen starten. Hier merkt man außerdem, wie stark sich die Stadt verändert. Ich schlage vor, St. Pölten dann über seine charakteristischen Plätze zu erkunden. Das Angenehme ist, dass in der Innenstadt alles fußläufig erreichbar ist. Wir gehen durch die Kremser Gasse Richtung Rathaus, vorbei am Olbrichhaus bis zur Marktgasse, um schon die Atmosphäre der Innenstadt aufzunehmen. Die Kremser Gasse ist heute die wichtigste Einkaufsstraße und eine der „Lebensadern“ der Innenstadt. Schon bemerkenswert, dass die Gasse in der römischen Vorgängerstadt – Aelium Cetium – auch schon die Funktion einer Hauptstraße hatte. Dann erschließen wir von der Marktgasse her den Rathausplatz, den größten Platz in der Altstadt. Seine moderne Neugestaltung geht auf Architekt Boris Podrecca zurück und er ist ein beliebtes „Wohnzimmer“ für alle St. Pöltner:innen als auch Besucher:innen der Stadt. Viel Baukultur ist hier zu entdecken – Rathaus, Franziskanerkirche, Barockpaläste – aber auch lebendige Kultur im Landestheater, im Cinema Paradiso oder im Stadtmuseum, das nur einen Katzensprung entfernt ist.

Zu welchen Plätzen geht es weiter?

Thomas Pulle: Die Rathausgasse führt uns zum Riemerplatz mit dem „Ohrwaschl“, einer Skulptur, deren Form an ein Ohr erinnert. Auf dem Platz ist die Originalbebauung erhalten und wenn man Richtung Linzer Straße blickt, sieht man die Barockfassade des Instituts der Englischen Fräulein. Weiter geht es über die Wiener Straße zum Herrenplatz, der an Dynamik gewonnen hat, mit vielen gemütlichen Lokalen und einem fast südländischen Flair. Er ist wie eine Theaterkulisse mit vor allem barocken Bauten, aber auch moderner Architektur: Unbedingt auch einen Blick auf das 1914 eröffnete, ehemalige Domcafé werfen! Der Figurenschmuck wurde von Anton Hanak gefertigt, einem der bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Schon in früheren Zeiten wurde der Herrenplatz zu Marktzwecken genutzt, heute findet jeden Donnerstag und Samstag von 7 bis 12.30 Uhr der Wochenmarkt statt. Dann herrscht reges Treiben! Der Wochenmarkt geht wenige Schritte entfernt am Domplatz weiter. Dieser Platz wird im Rahmen des Festivals Tangente St. Pölten ein Ort für Kunst und kulturelle Veranstaltungen. Seit kurzem ist er autofrei und deshalb eine der spannendsten Entwicklungszonen. Er steht auch am Beginn der jüngeren Stadtgeschichte: Ab dem späten achten Jahrhundert siedelten sich hier Mönche mit den Reliquien des Heiligen Hippolyt an. Durch die deutsche Verballhornung vom Namen des Heiligen kam die Stadt zu ihrem Namen. Der Domplatz strahlt große Ruhe aus und die Mächtigkeit des Domes kommt noch stärker zum Ausdruck! Von ihm aus kann man in den Bischofshof gehen und entdeckt im Kreuzgang einen ruhigen und grünen Rückzugsort.

Wohin würden Sie Gehfreudige außerhalb des Zentrums mitnehmen?

Thomas Pulle: Mein erster Vorschlag führt uns an der ehemaligen Synagoge vorbei, eine der wenigen in Niederösterreich, die die NS-Zeit überstanden hat und die jetzt in neuer Pracht wiederersteht. Dann bewegen wir uns auf der Promenade Richtung Südwesten und können Schritt für Schritt die Stadtentwicklung erkennen. Es gab bis Mitte des 19. Jahrhunderts einen Mauerring um die Stadt, erst danach hat sie sich sukzessive vergrößert. Besonders eindrucksvoll: die Maria-Theresien-Straße mit erhaltenen Bauten aus der Zeit um 1900. Als Endpunkt empfehle ich die Villa der Voith-Werke. Damals war es das Wohnhaus des Direktors des für St. Pölten bedeutenden Industrieunternehmens, prachtvoll gestaltet von Rudolf Frass, einem Schüler Otto Wagners. Heute ist dort die Zentrale der Musik- und Kunstschule, der öffentliche Südpark ist ein innerstädtisches Kleinod. Mein zweiter Vorschlag: durchs Regierungsviertel mit dem Landttagsschiff gehen, in die Erlebniszone des Naturraums der Traisen eintauchen und sich zum Ratzersdorfer See und zu den Viehofner Seen bewegen. Ein Tipp: Nicht beim größeren Viehofner See stehenbleiben, auch den kleineren umrunden – ein pures Naturerlebnis mitten in der Stadt! Auch im Westen trägt die Natur zum Lebensgefühl in der Stadt bei, dort erreicht man nach wenigen Minuten vom Zentrum den Stadtwald, den ehemaligen Kaiserwald.

Haben Sie noch weitere Ideen, wo wir uns neue Perspektiven auf die Stadt holen?

Thomas Pulle: Eine Besonderheit ist das WIFI-Gebäude von Karl Schwanzer, ein Bau im „brutalistischen Stil“ und eine Architekturikone der 1970er Jahre. Auch würde ich Orte vorschlagen, die vielleicht nicht so bekannt sind. Nahe dem Stadtgebiet gibt es vier Schlösser, die zwar nicht zu besichtigen sind, aber wunderbare Perspektiven auf die Landschaft ermöglichen, in die St. Pölten eingebettet ist: das Schloss Ochsenburg im Süden, das Schloss Viehofen und die zwei Wasserschlösser Wasserburg und Pottenbrunn im Norden. Außerdem sind Friedhöfe ein Steckenpferd von mir. Der Hauptfriedhof ist immer einen Besuch wert und bildet mit erhaltenen Gruftanlagen, Ehrengräbern und dem Jüdischen Friedhof Zeitgeschichte ab. Er ist auch ein toller Naturraum, der Mensch und Tier harmonisch verbindet.

Der Weg zu neuen Perspektiven

Entdeckertour kompakt: Mit dem Kulturkompass zeigen wir die Richtung.
Hier finden Sie auf einem Blick, was Sie im Kultur-Urlaub in Niederösterreich erleben werden