Über den rauhen Rücken

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Die anspruchsvolle Seite des Ötschers

Ein Gratanstieg, wie es in ganz Niederösterreich keinen anderen gibt: Die Bergwanderung über den Rauhen Kamm ist nicht nur imposant und fordernd, sondern unbestritten der schönste Weg auf den Gipfel des Ötschers.

Ein Text von Robert Maruna

Liebe Leser, bevor ihr euch auf eine gedankliche Reise zum Gipfel des Ötschers aufmacht, dürfen wir euch darauf hin weisen, dass der Autor ein erfahrener Bergsteiger und Kletterer ist. Denn der lange und ausgesetzte Anstieg über den Rauhen Kamm ist keinesfalls zu unterschätzen! Sofern ihr noch wenig bis keine Erfahrung im alpinen Gelände besitzt, müssen wir euch von dieser Bergtour abraten. Ein alternativer und sicherer Aufstieg zum Ötscher-Gipfel führt gefahrenfrei von Lackenhof aus über das Ötscherschutzhaus (1.410 m).

Wichtige Informationen zur Tour:

Die alpine Bergwanderung "Rauher Kamm" verläuft über den Nordostgrat des Ötscher.
Die Tour erfordert nicht nur Ausdauer und Kraft, sondern vor allem Erfahrung im alpinen Gelände:
Vereinzelte Kletterpassagen (max. 1+) über Felsnadeln und Kalktürme befinden sich in exponierter Lage und sollten nur von absolut trittsicheren Bergsteiger:innen begangen werden.

Start - und Zielpunkt: Parkplatz Weitental/Lackenhof
Distanz: 12 km
Aufstieg: 1.050 Hm
Dauer: 6:30 h
Genaue Tourenbeschreibung: Hier klicken

 

Von weitem aus betrachtet erinnert er an den Rücken eines Dinosauriers. Kein furchteinflößender Tyrannosaurus, der auf zwei Beinen lief und einen kurzen und geraden Rücken hatte, eher ein friedfertiger, pflanzenfressender Stegosaurus mit einem langgezogenen Rücken voller Zacken und Platten. Genau wie der Grat vor mir: lange und uneben zieht er sich in Richtung Gipfel hoch. Von unzähligen Felstürmen, Gesteinsnadeln und Grashöckern ist er durchsetzt, während man links und rechts des Anstiegs in die Tiefe lugt. Ein versteinerter Saurierrücken von gigantischem Ausmaß, den man „Rauher Kamm“ nennt. Und genau dort, wo einst der Kopf des urzeitlichen Tiers gewesen sein müsste, steht heute das Gipfelkreuz des 1.893 m hohen Ötscher – das Ziel meines Abenteuers.

Der Ötscher ist mehr als bloß ein Berg in Niederösterreich, er ist die höchste Erhebung im Mostviertel und aufgrund seiner isolierten Lage von beinahe überall aus zu erkennen. Für viele Mostviertler ist er das Wahrzeichen, als „Vaterberg“ wird er seit der Keltenzeit bezeichnet. Bereits die Kelten gaben ihm diesen Namen, „ocàn“ haben sie ihn genannt, aus dem sich unter slawischem Einfluss der Name Ötscher ergab. Der schönste, aber auch anspruchsvollste Weg nach oben führt über seinen ausgesetzten Nordostgrat –  den Rauhen Kamm. Eine unter geübten Bergsteigern beliebte Tour, die auch als Teilabschnitt des 250 km langen Weitwanderwegs „Haute Route Niederösterreich“ begangen wird. Dabei werden die höchsten Gipfel zwischen dem Schneeberg und den Ybbstaler Alpen überschritten, ich begnüge mich heute bloß mit einem Gipfel. Und dafür startet man am besten vom kleinen Ort Raneck aus, denn von dort sieht man ihn – den Rücken des Sauriers. 

Zunächst geht es ganz gemütlich los: Man folgt einer breiten Forststraße in den lichten Wald hinein, bis man nach einer knappen Stunde die Wegkreuzung Bärenlacke erreicht. Hier geht es dann erstmals richtig zur Sache: Ein steiler Pfad schlängelt sich durch den schattigen Juckfidelwald empor. Rund 500 hm, gespickt mit hohen Wurzelstufen und unzähligen Kehren, die einem sukzessive den Schweiß aus den Poren treiben. Immer wieder passiert man gelbe Wegmarkierungen an großen Steinen und Baumstämmen, mindestens fünfmal dachte ich den Kamm sehen zu können, aber hinter jeder Kuppe lauert eine neue. Irgendwann, man darf bloß nicht aufgeben, lässt einen der Wald dann doch frei und über eine kurze Latschenzone tritt man in die Sonne. Ein kleiner Platz zwischen den Latschen lädt zum Verweilen ein. Ich lasse den Blick schweifen: Im Süden blickt man auf die Ötschergräben, in nördlicher Richtung kann man Ötscherwiese und Lackenhof erahnen – der grüne Brandkogel verdeckt die Sicht. Dafür kann man aber etwas anderes erkennen: die Höcker des Kamms. Vorfreude kommt auf, schließlich beginnt nun der schönste Teil der Tour.

Trittsicher sollte man schon sein. Und schwindelfrei auch. Während man die ersten Felsaufschwünge zu rechter Hand umgeht, wird spätestens nach einer markanten Scharte klar, warum der Aufstieg über den Rauhen Kamm nur absolut versierten Bergwandernden vorbehalten ist: Weil man eben nicht mehr bloß auf zwei Beinen wandert, sondern auf allen vieren klettern muss. Natürlich nicht durchwegs und keine Stelle ist besonders schwer, aber dennoch: links und rechts des Steiges geht es steil bergab. Deshalb ist die Tour ja auch so imposant und interessant. Hatte man Freude an Schroffen-Kletterei im ersten Schwierigkeitsgrad, dann kann man den Weitblick über die farbenfrohe Naturlandschaft so richtig genießen. Das Weiß der Kalktürme vor einem, das Grün der Hügel unter einem und das tiefe Blau des Himmels über einem. Immer wieder muss ich mich selbst ermahnen, dass ich mich nicht in der Ferne verliere und den Blick auf das unmittelbar vor mir Befindliche vergesse: nämlich den schmalen Weg und die rauen Felsen. Die Ausblicke haben noch einen weiteren Vorteil: Man vergisst die Strapazen des Gehens. Gefühlt war ich gerade einmal eine Stunde unterwegs, doch die Uhrzeit sagt das doppelte. Und während ich fokussiert weiter klettere, bemerke ich gar nicht, dass bereits die letzte Felsstufe vor mir liegt. Zügig steige ich weiter nach oben und stemme mich über den letzten Aufschwung. Von nun an geht es flach über den Vorgipfel in westlicher Richtung, bis meine Hände das Gipfelkreuz berühren. Ein wenig erschöpft lasse ich mich auf dem Gipfelplateau ins Gras fallen und blicke in den wolkenfreien Himmel. Die Gedanken kreisen – wie die Bergdohlen über meinem Kopf. Und dann kommt ein Gefühl auf, das man vom Bergsteigen nur zu gut kennt: Zufriedenheit. Weil man etwas erreicht hat, von dem man lange geträumt hatte. Und dieses Gefühl hält an, manchmal wird es im Tal sogar noch verstärkt. Denn auf den letzten Metern zurück nach Raneck öffnet sich ein letztes Mal der Blick auf den Rauhen Kamm. Und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl der Gipfel hat mir zugenickt. Vielleicht war es aber auch der Kopf des Sauriers. 

Zur genauen Routenbeschreibung

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