Metamorphosen in frischer Luft

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Niederösterreichs Bergwelt bietet wohltuende Naturerlebnisse.

Wer morgens den Naturpark Ötscher-Tormäuer betritt, kommt abends als anderer Mensch wieder raus. Das behauptet zumindest Florian Schublach, Leiter des Naturparks, denn die meisten, die dort arbeiten und meistens auch er sehen die Gäste zumindest bei diesen zwei Gelegenheiten: Beim Rein- und beim Rausgehen. Morgens sind viele gestresst, es kann ihnen nicht schnell genug gehen. Und abends, da scheint sich Rastlosigkeit in eine entspannte Zufriedenheit gewandelt zu haben. Was passiert in der Zeit dazwischen?

Wer in der Natur ist, sich bewusst in ihr bewegt, sie wahrnimmt, mit dem passiert etwas. „Man sammelt Eindrücke, ist in einer außergewöhnlichen Landschaft und nimmt Reize wahr, die man sonst nicht bemerkt, während man gleichzeitig weniger anderen Reizen ausgesetzt ist. Man bewegt sich, spürt den Rhythmus seiner Schritte – und das ist superentspannend“, sagt Florian. Der Naturpark Ötscher-Tormäuer, der größte Naturpark Niederösterreichs, bietet zweifelsohne eine Kulisse, die ihresgleichen sucht. Schroffe Felsen, wie jene des majestätischen Ötschers, treffen auf wilde Wasserfälle und tief in die Landschaft reichende Schluchten, denen der Naturpark seinen Namen zu verdanken hat. Spektakuläre Orte, keine Frage. Und natürlich spielt ihre Großartigkeit eine Rolle in der Erfahrung jener, die den Naturpark abends mit einem Lächeln wieder verlassen.

Das Schauen neu lernen.

Aber nicht ausschließlich, denn für ein wohltuendes Naturerlebnis braucht es nicht unbedingt Superlative. Was dazu aber nötig ist – und was sich glücklicherweise oft wie von selbst einstellt – ist die Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Florian spricht von hinhören, hinfühlen, hinschauen, hinriechen, hinschmecken, also vom bewussten Einsatz der fünf Sinne, der dazu führt, ganz im Hier und Jetzt zu sein; etwas, das man auch aus der Meditation oder Kunst – man denke nur an die „Schule des Sehens“ nach Oskar Kokoschka – kennt.

Besonders begabt darin seien Kinder, so Florians Beobachtung. Die bräuchten nur „einen Bach oder eine Wiese oder Steine oder eine Kombination davon“ – und wüssten sich schon zu beschäftigen. Florian erzählt von einer Schulklasse, die kürzlich bei ihm im Naturpark war. Die Kinder hätten Kröten entdeckt; einige hatten Berührungsängste, andere wollten sie gleich halten und streicheln, aber alle entdeckten früher oder später ihre „bronzefarbenen, metallisch glänzenden Augen mit den länglichen Pupillen“ und wären ab dem Zeitpunkt ganz fasziniert gewesen. Manchmal offenbart sich Schönheit erst beim zweiten Blick. Nicht nur in der Natur, wohlgemerkt. Das genaue Hinschauen verändert also das, was man anschaut. Und man selbst verändert sich dadurch auch.

Frau Doktor Natur.

Das Naturerleben ist ein komplexer Prozess, der sich nicht in Schablonen pressen lässt. Natur wirkt auf alle Ebenen des Seins ein: Körper, Seele, Geist. Sei es über so genannte „Green Spaces“, also Grünflächen aller Art, von der Wiese bis zum Baum, oder „Blue Spaces“ wie Seen, Flüsse oder Bäche. Die wohltuende Wirkung der Natur bis hin zu ihrer Heilkraft ist mittlerweile wissenschaftlich erforscht. Die Wasser-Aerosole in Wasserfällen wirken sich positiv auf Asthmaerkrankungen aus, Wandern ist eine Art Antidepressivum, Höhenluft lindert Allergien. Stress wird reduziert, das Immunsystem positiv angeregt – man kommt wieder in das Lot, aus dem man zuvor vielleicht gefallen ist.

Auf den Kontext kommt es an.

Ein authentisches Naturerlebnis, das sich von einem konstruierten à la Naturlehrpfad unterscheidet, kann aber noch etwas anderes: Es macht Zusammenhänge sichtbar. „Eine Blume ist Teil eines Netzwerks, eines biologischen Raumes. Um Natur zu verstehen, muss man sich auch auf diese Zusammenhänge einlassen. Und wenn man die Zusammenhänge in der Natur  verstanden hat, dann wird es einfacher, größere, komplexere Themen in anderen Lebensbereichen zu verstehen.“ So wie eine Blume nicht ohne Erde und Wurzeln, ohne Wasser und Sonne existieren kann, so ist das Wohlbefinden des Menschen neben der Erfüllung seiner Grundbedürfnisse von einer sinnhaften Aufgabe,  anderen Menschen und eben von der Natur abhängig.

Wenn alles grünt und blüht und summt und brummt, ist Florian am liebsten im Naturpark unterwegs. Aufgrund der Höhenlage fängt die Vegetation erst Ende Mai mit ihrer grünen Metamorphose an. Bekannt, fast schon berühmt ist die Region für ihre Orchideenvielfalt, aber auch für andere, wilde Schönheiten wie den tiefblauen Clusius-Enzian oder die purpurfarbene Clusius-Primel. Und dann wäre da noch die Fauna. Um die „Held:innen aus der zweiten Reihe“ bekannter zu machen – es braucht schließlich nicht immer den Superlativ – konzentriert sich das aktuelle Naturvermittlungskonzept des Naturparks auf Tiere wie die Gelbbauchunke, die Wasseramsel, den Steinkrebs, den blauschillernden Feuerfalter oder die Blattschneiderbiene. Die Beschäftigung mit den unbekannteren Tieren hätte den Vorteil, die Angst vor dem Unbekannten und Fremden zu nehmen, so Florian. „Und jetzt muss man sich nur vorstellen, das auf einen gesellschaftlichen Kontext umzulegen“, sagt er abschließend. Und wirft damit die Frage in den Raum: Wäre die Welt dann vielleicht eine bessere?

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