Kultur am Stammtisch

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St. Pöltens Kunst- und Kulturszene zwischen Identität, Transformation, Weltoffenheit und Neu-Interpretation.

Es heißt ja bekanntlich „Durchs Reden kommen die Leut‘ zam“. Wir haben das zum Anlass genommen, St. Pöltner Kulturschaffende sowie eine Winzerin und einen Obstbauern zum Kultur-Stammtisch im Wirtshaus „Vinzenz Pauli“ einzuladen. Bei einem Menü, das Gastgeber Maurice Harant und Küchenchef Werner Punz rund um die Themen Identität, Transformation, Weltoffenheit, Regionalität und Innovation zusammengestellt haben, diskutieren unsere Gäste zu eben diesen Themen und genießen dabei zu jedem Gang ein Glas Wein von Viktoria Preiß.

Am Kulturstammtisch im „Vinzenz Pauli“ diskutieren unsere Gäste eine Reihe von Fragen, um gemeinsam zu erkunden, was St. Pölten einzigartig macht. Es geht um die Identität der Stadt und um die charakteristischen Elemente, die das gute Leben in St. Pölten auszeichnen – insbesondere Kunst, Kultur und Kulinarik. Der Fokus richtet sich auf die prägenden Orte der St. Pöltner Kulturszene und die transformative Rolle der Kultur für die Stadtentwicklung. Der Fokus liegt auf den letzten 30 Jahren, in denen St. Pölten den Wandel von einer Industriestadt zu einer lebendigen Universitätsstadt vollzogen hat. Zudem wird der Grad der Weltoffenheit thematisiert und wie St. Pölten diese im Kontext seiner kulturellen Identität definiert.

An unserem Tisch haben Platz genommen:

Marlies Eder ist Kulturarbeiterin für das Festspielhaus St. Pölten und die „Bühne im Hof“. Die gebürtige Niederösterreicherin lebte einige Zeit in Wien, bevor sie nach St. Pölten zurückkehrte. In ihrem Job vernetzt sie nicht nur unterschiedliche Kunst- und Kulturprojekte, sondern organisiert in ihrer Freizeit auch unabhängige Kunst- und Literaturprojekte wie St. Pöltens Poetry-Slam. Gemeinsam mit Florian Wurzinger gestaltet sie den St. Pöltner Kultur- und Gesellschaftspodcast „Das wird Folgen haben“

Martin Rotheneder ist Musiker aus St. Pölten und Programmleiter der „Freiraum“-Kulturbühne. Seit über 20 Jahren ist er Singer-Song-Writer und Gitarrist: Anfangs trat er unter dem Namen „Ben Martin“ auf, später war er Teil der Electronic-Pop-Band „I Am Cereals“. Vor etwa zwölf Jahren entdeckte er seine (zweite) Leidenschaft für das Kulturmanagement und sieht seine Aufgabe als „Brückenbauer“ in der St. Pöltner Jugend- und Subkultur. Im Herbst 2023 veröffentlichte er sein neuestes und mittlerweile elftes Album „Endlich wieder Feia“.

Martin Szurcsik-Nimmervoll ist die eine Hälfte der Künstler:innen-Gruppe Flora und Martin Szurcsik-Nimmervoll. Sie arbeiten in den Bereichen bildender und angewandter Kunst sowie den Medien Installation, Film, Video und Fotografie. Zusammen betreiben sie in St. Pölten das Studio „Mars + Blum“ für Grafik und Ausstellungsproduktion sowie verschiedener Formen analoger und digitaler Kommunikation im gesellschaftspolitischen Kontext. Sie unterrichten unter anderem an der New Design University St. Pölten und an der Wiener Kunstschule. Beide sind Teil des St. Pöltner Künstlerbundes, einer Vereinigung von derzeit 30 Künstler:innen mit einer Beziehung zur niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten.

Petra Wieser ist selbstständige Porzellan-Designerin. Die gebürtige Pielachtalerin, die ursprünglich als ausgebildete Ergotherapeutin tätig war, lebt seit mittlerweile acht Jahren in St. Pölten. Nach ihrem Studium an der New Design University in St. Pölten gründete sie vor fünf Jahren ihr Porzellan-Atelier „Mindful Design & Craft“. In Zusammenarbeit mit dem St. Pöltner Kaffeeröster und Coffee Roasting Champion Felix Teiretzbacher hat sie ein Porzellan-Filterset entworfen, das in der Specialty Coffee Szene mittlerweile stark nachgefragt wird. Das Set wird ob seiner Perfektion sogar bei internationalen Kaffee-Wettbewerben eingesetzt, wenngleich es in erster Linie für den bewussten Kaffeegenuss zu Hause konzipiert wurde.

Viktoria Preiß ist Winzerin im Betrieb „Wein- und Obstkultur Preiß“ in Theyern im Traisental. Sie hat ein Studium in Wirtschaft und Weinmarketing absolviert, eine Facharbeiterausbildung im Bereich Weinbau und Kellerwirtschaft abgeschlossen und Praktika in Südtirol sowie Neuseeland absolviert. Seit 2014 trägt sie im Familienbetrieb die Verantwortung für die Vinifizierung. Ihre kreative Ader, die sie auch als leidenschaftliche Klavierspielerin und Sängerin auslebt, lässt sie oft in Weinprojekte einfließen, etwa bei der Gestaltung der Obsthalle im Weingut, für die sie den niederösterreichischen Künstler David Leitner gewinnen konnte, der auch das Projekt „Würmlas Wände“ schuf. Auch bei ihren zahlreichen Wein-Pop-Ups, die sie gemeinsam mit der jungen Winzer:innen-Generation aus dem Traisental realisiert und bei denen Musik eine zentrale Rolle spielt, lebt sie ihre Kreativität aus.

Maximilian Preiß ist der Obstbauer im Traisentaler Betrieb „Wein- und Obstkultur Preiß“. Nach seinem Abschluss an der Bundeslehranstalt für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg hat er vor einigen Jahren den Obstbereich des Familienbetriebs übernommen. Dieser gilt seit mehr als 30 Jahren als Pionier im Bereich der reinsortigen Obstsäfte in Niederösterreich. Zusammen mit seiner Schwester Viktoria Preiß hat Maximilian an der Schnittstelle zwischen Wein und Obstsaft die Apfel-Pet-Nats „Die Apfelkönigin“ und „Der Apfelkönig“ entwickelt. Für die Gestaltung der Etiketten haben sie mit der niederösterreichischen Künstlerin Linda Partaj zusammengearbeitet.

IDENTITÄT

Zum Thema „Identität“ serviert Küchenchef Werner Punz St. Pöltner Chicorée mit Balsamico-Essig aus Ober-Grafendorf, einer Zwetschken-Reduktion sowie Shiitake aus Perschling. Dazu serviert Viktoria ihren „Riesling Kammerling“ 2022. Die Diskussion dreht sich um die Frage, was die St. Pöltner Identität ausmacht und welche Orte prägend für die St. Pöltner Kulturszene waren und sind und welche Rolle Kultur und Kulinarik für die Stadt spielen.

Martin Rotheneder: Was die Musikschaffenden in St. Pölten betrifft, spielt das „Vinzenz Pauli“, das ehemalige „Gasthaus Koll“ eine bedeutende Rolle. Der zweite, wichtige Ort ist das BORG St. Pölten (Bundes-Oberstufenrealgymnasium) mit seinem musischen und seinem bildnerischen Zweig, wo geschätzt achtzig Prozent der heutigen St. Pöltner Kulturschaffenden ihre Schullaufbahn begonnen haben. Ende der 1990er Jahre, Anfang der 2000er Jahre waren diese beiden Orte sicher die wichtigsten Brutstätten für Kunst und Kultur in St. Pölten. Viele der heute in der Sankt Pöltner Kulturszene aktiven Menschen haben hier ihre erste Heimat gefunden. In dieser Hinsicht ist der Ort für dieses Treffen sehr passend gewählt – der Spirit ist geblieben und lebt in diesen Mauern weiter.

Petra Wieser: Für mich macht viel vom Spirit von St. Pölten auch das Kleine, das Überschaubare aus. Ich hab ja an der NDU (New Design University) studiert, meine Studien-Kolleg:innen sind aus ganz Österreich gekommen. Ich glaube, sie haben damals schon von meiner Begeisterung als Wahl-Sankt-Pöltnerin profitiert. Die Seen, die Traisen und die feine Kulinarik in der Stadt – das muss man selbst erlebt haben.

Viktoria Preiß: Ich finde, St. Pölten lebt von seiner Kreativszene und Orten wie dem Vinzenz Pauli, dem Café Schubert oder dem Cinema Paradiso, wo man Gleichgesinnte trifft und das ausleben kann. Die Kreativität, die Kultur und die Kulinarik sind für mich als eine, die aus der Hauptstadtregion St. Pölten kommt, wichtige Gründe hierherzukommen. Ich komme aus einem produzierenden Betrieb, insofern ist die Kulinarik für mich vielleicht sogar der wichtigste Grund.

Maximilian Preiß: Ich glaube, gute Lokale ziehen die Leute automatisch an. Ich komme zwar nicht direkt aus St. Pölten, aber die Gastronomie ist ein Hauptgrund, warum ich immer wieder gerne herkomme. Das Aelium ist für mich eines der Top-Lokale.

Viktoria Preiß: Das Café Emmi und die Gaststätte Figl – das sind für mich auch Orte, die kulinarisch herausstechenweil man dort weiß, wo die Sachen herkommen, die man konsumiert. Für mich ist das ein ganz wichtiger Aspekt.

TRANSFORMATION

Während Küchenchef Werner Punz seine veganen Grammelknödel mit Spitzkraut und Schwarzkümmelsauce serviert – eine kreative Transformation des Wirtshausklassikers, bei der er die traditionellen Grammeln durch frittierte Topinambur ersetzt –, entwickelt sich am Tisch eine Diskussion über die Transformation St. Pöltens in den letzten zwanzig, dreißig Jahren. Das Gespräch dreht sich um Orte, die zur Entwicklung und Transformation beigetragen haben und nach der Rolle der Kultur in diesem Prozess. Dazu passend schenkt Viktoria einen Grünen Veltliner 2021 aus der Monopollage „Brunndoppel“ ein, der als Leitsorte im Weinbaugebiet Traisental veranschaulichen soll, wie sich die Region seit ihrer offiziellen Anerkennung im Jahr 1995 von einem Geheimtipp zu einer der aufstrebendsten Weinregionen Österreichs gewandelt hat.

Martin Rotheneder: Du hast vorhin das Café Emmi erwähnt, das ist tatsächlich ein sehr wichtiger Ort für die St. Pöltner Kultur-Szene. Als es eröffnet hat, hat sich eine tolle Aufbruchstimmung breit gemacht. Die Eigentümer haben damals aktiv Leute angesprochen und sie gefragt, ob sie nicht Events veranstalten wollen. Zu der Zeit, als Felix Teiretzbacher noch im Hinterzimmer seinen Kaffee geröstet hat, hatten wir mit unserer Band „I Am Cereals“ zwei Auftritte dort, sogar Poetry Slams gab es.

Viktoria Preiß: Ich finde, dass auch das Warehouse eine wichtige Rolle in der St. Pöltner Musikszene spielt, zumindest wenn ich an meine Jugendzeit zurückdenke.

Martin Rotheneder: Ich bin sogar der Meinung, dass das Warehouse und seine große Bedeutung in vielen Betrachtungen immer viel zu sehr untergeht. Norbert Bauer hat mit dem Vorgänger „Jesters“ in Ober-Grafendorf und dann mit dem Warehouse beim VAZ einen super Ort für Bands geschaffen, für die St. Pöltner Drum’n’Base-Szene war und ist das ein enorm wichtiger Ort. Ich habe dort 2004 beim Eröffnungskonzert gespielt. Für die Entwicklung der St. Pöltner Sub- und Jugendkultur in den letzten 20 Jahren war das Warehouse extrem wichtig.

Marlies Eder: Für mich waren als Jugendliche die Veranstaltungen im Landestheater Niederösterreich auch sehr prägend. Es gab spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche, das hat sicher meine Kultur-Begeisterung geweckt.

Viktoria Preiß: Auch das Festspielhaus war da immer schon recht zugänglich. Unsere Musicals während der BORG-Zeit wurden dort aufgeführt – das Festspielhaus ist ja in Gehweite zum BORG. Schon als Jugendliche den professionellen Backstage-Bereich nutzen zu dürfen und dann auf einer echten Bühne zu stehen, das war schon sehr ergreifend.

Martin Rotheneder: Das ist sicher einer der großen Vorteile St. Pöltens, dass viele Orte zu Fuß erreichbar sind.

Marlies Eder: Zum Glück ist das Festspielhaus der Innenstadt zugewandt, wenn gleich der Kultur-Bezirk selbst aus der Auto-Ära stammt. Aber immerhin liegt es auch direkt am Traisental-Radweg.

Viktoria Preiß: Vom Traisentalradweg profitieren wir in Theyern auf jeden Fall auch, auch wenn man dann zu unserem Hof noch ein paar Höhenmeter überwinden muss. Extrem gut ist auch, dass die St. Pöltner Innenstadt direkt am Bahnhof liegt. Du kommst am Bahnhof an, steigst aus und bist sofort in der Innenstadt.

Marlies Eder: Im Festspielhaus ist uns das sehr wichtig: Dass wir die Besucher:innen darauf hinweisen, dass sie uns auch öffentlich gut erreichen können und sollen. 

Martin Szurcsik-Nimmervoll: Ich finde überhaupt, dass man St. Pölten weniger als Stadt, mehr als Region denken sollte. Ich habe mich immer als kosmopolitischen Menschen gesehen, ich schätze sowohl das Angebot in St. Pölten als auch das in Krems. Krems hat vor allem in der bildenden Kunst ein hervorragendes Angebot, das in St. Pölten noch fehlt. Dafür müsste man den öffentlichen Verkehr noch viel stärker ausbauen, nicht nur innerhalb der Städte, sondern auch dazwischen. Ich würde mir wünschen, dass es mutige und visionäre Regional- und Überregionalentwickler:innen gibt, die genau dieses Potential sehen und beispielsweise den öffentlichen Verkehr im Sinne einer vernetzten Region ausbauen. Das wäre mein großer Wunsch für die Transformation der Region. Stadt ganz anders denken – nämlich über die Stadtgrenzen hinweg.

Martin Rotheneder:  St. Pölten hat diese eigenartige Zwischenposition zwischen Stadt und Land, es ist nicht ganz urban und sicher auch nicht ländlich. Es hat eine ganz eigene Identität entwickelt, weil die Wege in der Stadt kurz sind, aber auch die Wege aufs Land. Klassische urbane Konzepte funktionieren in St. Pölten nur bedingt. Das macht es für die Musik- und Kunstszene ungleich schwerer, gleichzeitig konnten sich durch die geringe Erwartungshaltung viele Dinge auch erst entwickeln. Unter dem Deckmantel der Unsichtbarkeit haben sich viele Nischen entwickelt, die sonst vielleicht nicht möglich gewesen wären. St. Pölten steht nicht unbedingt für Masse, aber für Qualität, eine ganz eigene Qualität. Und die resoniert mit Menschen, die sich – ähnlich wie St. Pölten selbst – zwischen Stadt und Land wohlfühlen. Eine Qualität von St. Pölten ist auch, dass viele Dinge einfach passieren konnten. Ein gutes Beispiel dafür ist der LAMES/ Sonnenpark – oder das Solektiv, wie es jetzt heißt. Die Stadt hat sich damals Ende der 90er zwar nie stark in die Prozesse eingemischt, sie aber auch nicht verhindert, wie das in anderen Städten manchmal der Fall ist. 

Martin Szurcsik-Nimmervoll: Ehrlich gesagt sehe ich das anders. Meiner Ansicht nach sollte die Stadt Entwicklungen nicht nur nicht verhindern, sondern die freie Szene mutig und aktiv unterstützen. Es bedarf einer transparenten und sichtbaren Kulturpolitik, einer offenen Kulturförderung. Das würde auch das Image der Stadt stärken, denn man könnte später mit Stolz behaupten, das als Stadt unterstützt zu haben. Es braucht mehr als nur Nicht-Einmischung; es braucht Mut. Den Mut der Stadtregierung, die freie Szene zu fördern, und einen eigenen, engagierten Kulturstadtrat, der Kunst und Kultur eine Hauptrolle einräumt, anstatt sie in der Nebenrolle mitlaufen zu lassen.

Martin Rotheneder: Das fände ich grundsätzlich auch gut, gleichzeitig befürchte ich aber einen steigenden Erwartungsdruck auf den Output und auch mehr Aufwand für die Künstler:innen. Ich persönlich schätze es, wenn Dinge unbürokratisch unterstützt werden können. Bei uns im Freiraum gibt es oft kurzfristige Anfragen von Künstler:innen. In Häusern mit großen Förderstrukturen müssen die Programme meist ein halbes Jahr oder länger im Vorfeld feststehen. Ich bin froh, dass wir hier aufgrund unserer kleineren Strukturen auch solche Anfragen noch unterbringen können. Ich finde, genau dieses Eigenbrötlerische, dieser Zwischenbereich von gerade nicht Urbanität und auch nicht Ländlichkeit sollte das Zugpferd von St. Pölten sein, und das Kleinteilige sollte erhalten bleiben.

Martin Szurcsik-Nimmervoll: Ich glaube tatsächlich, dass die Transformation zum Urbanen in Sankt Pölten schon eingesetzt hat und diese Entwicklung einfach passieren wird, ohne dass man sie einfordert. Sankt Pölten wird einfach urbaner.

WELTOFFENHEIT

Während zum nächsten Gang Piroggen mit Topfenfülle und Salbeibutter, garniert mit Petersilöl und eingelegtem Kürbis, serviert werden, wendet sich die Diskussion dem Thema Weltoffenheit zu und wie St. Pölten diese im Kontext seiner kulturellen Identität definiert. Wie können Kulinarik, Kunst, Kultur und junges Design dazu beitragen, St. Pölten als weltoffene Stadt zu positionieren, ohne dabei die Regionalität zu vernachlässigen. Passend dazu kredenzt Maximilian den Pet-Nat „Der Apfelkönig“ aus der alten Apfelsorte Ananasrenette, der für Maximilian und Viktoria die ideale Verbindung zwischen Wein- und Obstbau symbolisiert und einen neuen Zugang zum Thema Obstsaft darstellt – „Der Apfelkönig“ ist Österreichs allererster Apfel-Pet-Nat.

Petra Wieser: Im Rahmen des Tangente-Festivals war ich bei einem offenen Koch-Workshop, der wirklich gezeigt hat, wie verbindend Kulinarik zwischen verschiedenen Kulturen sein kann. Da haben sich tatsächlich tiefere Freundschaften daraus entwickelt, das war total spannend. Oder das Bürger:innen-Theater, das auch Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenbringt.

Martin Rotheneder: Es mag von außen vielleicht nicht so erscheinen, aber in Sankt Pölten leben Menschen aus über 100 Nationen zusammen. Das ist tatsächlich sehr multikulturell für eine so kleine Stadt.

Marlies Eder: Bezeichnend finde ich auch, dass wir in Sankt Pölten kein Integrationsbüro, sondern ein „Büro für Diversität“ haben. Das ist eine ausgestreckte Hand in Richtung aller Sankt Pöltner:innen. Dort gibt es Angebote wie das Diversity-Café oder Frauengruppen, die Communities stärken.

NEU-BELEBUNG & NEU-INTERPRETATION

Als letzten Gang serviert Werner Punz eine Schokoladenkuppel mit Dirndl-Sorbet und Dirndl-Schaum. Viktoria reicht dazu einen Rosé vom Zweigelt „Kammerling“ 2022. Als alkoholfreie Alternative wird der Bärnstein-Drink mit Dirndl eingeschenkt, ein innovatives Erfrischungsgetränk aus Dirndl, Verjus, Holunder und grünem Kaffee. Die Pielachtaler Dirndl vom Biohof Losbach in Kirchberg, die im Dessert in gewisser Weise neu interpretiert wird, lenkt die Diskussion zur Neuinterpretation oder Neubelebung bestehender Orte.

Werner Punz: Für das Dessert haben wir die Pielachtaler Dirndl als Sorbet und Schaum ein bisschen neu interpretiert. Für uns gehören zu Sankt Pölten auch das Traisental und das Pielachtal dazu – ich selber komme ja aus Kirchberg, deshalb beziehen wir zum Beispiel die Dirndl aus Kirchberg, weil ich die Produzent:innen kenne. Unser Ziel ist es, die gesamte Region um St. Pölten – also die Hauptstadtregion St. Pölten – einzubeziehen, einfach weil es hier viele großartige Betriebe gibt.

Viktoria Preiß: Dazu fällt mir auch der „Fusion Heuriger“ ein, weil wir vor dem Essen darüber gesprochen haben. Dafür wurden traditionelle Heurigengerichte und Weine aus der Region neu in Szene gesetzt. Der Pop-Up-Heurige hat 2023 zum ersten Mal stattgefunden und ist ein Projekt von Katharina Herzog, gemeinsam mit ihrer Agentur, die stark in der Kunstszene verankert ist. Mit dem Pop-Up wollten sie Menschen aus Kunst und Kulinarik, aus Stadt und Land zusammenbringen. Kathi hat mit David Leitner auch „Würmlas Wände“ initiiert.

Maximilian Preiß: David Leitner hat auch unsere Obsthalle gestaltet.

Viktoria Preiß: Das Tolle war, dass auch NDU-Studierende eingebunden waren und coole Bands haben gespielt. Für mich war es eine extrem coole Veranstaltung, aber gefühlt bräuchte es solchen Veranstaltungen gegenüber noch mehr Aufgeschlossenheit, noch mehr Weltoffenheit. Das Ziel wäre, dass die Veranstaltung jedes Jahr an einem anderen Ort stattfindet, Leerstände bespielt und Stadt und Land tatsächlich näher zusammenbringt.

Martin Szurcsik-Nimmervoll: Die Wände sind ein guter Punkt, denn über die bildende Kunst haben wir noch gar nicht gesprochen und leider passiert da auch in Sankt Pölten noch viel zu wenig. Ein spannendes Projekt in dem Bereich ist aber das „KinderKunstLabor“, ein neues Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst mit einem Workshop-Programm für junges Publikum. Dahinter steckt Mona Jas, die spannende, internationale Leute reinbringt. Ich glaube, dass das viel tun wird, nicht nur für die Kinder, auch für die Erwachsenen. Viel Potential steckt natürlich auch im Künstler:innen-Bund. Flora und ich sind ja auch im Vorstand und wir sehen unsere Aufgabe in Zukunft, darin auch junge Leute abzuholen, wenn es um bildende Kunst geht, vor allem auch, weil es im Bereich bildende Kunst noch viel zu wenig gibt. Aber um auf das Thema Weltoffenheit zurückzukommen: Ich finde es geht nicht unbedingt immer nur darum, die Welt nach Sankt Pölten zu holen, sondern auch nach draußen zu gehen und wieder zurückzukommen. In dreißig Minuten bin ich in Wien, in einer Stunde in Linz. Das ist für mich fast die schönste Qualität an Sankt Pölten, die sehr gute Anbindung an andere Städte.

Petra Wieser: Dem stimme ich voll zu. Wenn du in Sankt Pölten am Bahnhof aussteigst, hast du sofort das Tor zur Innenstadt, vorbei an einem ehemaligen Grand Hotel und an einem der schönsten Jugendstil-Gebäude.

Martin Szurcsik-Nimmervoll: Das ist tatsächlich ein spannender Punkt. Die Innenstadt von Sankt Pölten funktioniert wirklich gut – man trifft dort alle Leute. Kürzlich habe ich an einer Diskussionsveranstaltung zur „Neubelebung“ der Innenstadt teilgenommen, aber in Wirklichkeit funktionieren die Innenstadt und auch der Markt in Sankt Pölten genau so, wie sie es sollten: als soziales Gefüge, in dem Menschen kommunizieren und sich treffen. Das ist im Jahr 2024 wirklich etwas Besonderes.

Veranstaltungskalender: