Geschichten aus dem Wasserwald

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Aue heißt Wasserwald. Der Nationalpark Donau-Auen ist im wahrsten Sinn ein solcher – hier befindet sich die letzte große Flussauenlandschaft Mitteleuropas.

Im Interview erzählt Edith Klauser, Direktorin des Nationalparks Donau-Auen, von der bewegten Geschichte der Nationalparkwerdung, von der faszinierenden Flora und Fauna – und was passieren kann, wenn man der Natur freien Lauf lässt. 

Frau Klauser, der Nationalpark Donau-Auen hat eine bewegte Geschichte. Legendär war die Besetzung durch Demonstrant:innen in den 1980ern.

Edith Klauser: Im Dezember 1984 hat sich die Zivilgesellschaft gegen die Pläne, bei Hainburg ein Kraftwerk zu errichten, gestemmt. Es gab Demonstrationen, die Auwiesen wurden besetzt, um gegen die Rodung des Auwaldes und den Bau des Kraftwerkes zu protestieren. Die Menschen, die damals dabei waren, waren fest entschlossen, die Regierung an der Umsetzung der Kraftwerkspläne zu hindern – auch, weil es wertvolle Untersuchungen aus den 1980er-Jahren gab, die die Donau-Auen als hohes Schutzgut ausgewiesen hatten. Für viele war es überhaupt nicht verständlich, warum diese einzigartige Flussauenlandschaft zerstört werden sollte, um ein Kraftwerk zu errichten.

Die Demonstrant:innen konnten sich tatsächlich durchsetzen. Wie haben sie das geschafft?

Die Lage ist teilweise eskaliert – die Polizei war vor Ort, es gab Prügeleien usw., und all das wurde natürlich auch medial begleitet, Szenen wie diese haben den Druck auf die Regierung noch zusätzlich erhöht. (Für Interessierte: Bilder dazu kann man sich heute im Museum Niederösterreich in St. Pölten ansehen.) Die Widerstandsbewegung war auch deshalb erfolgreich, weil sie von sehr vielen Gesellschaftsschichten getragen wurde. 1989/90 gab es Kampagnen wie jene des WWF, der damals eine Freikaufaktion für die Regelsbrunner Au initiiert hat. Jeder Österreicher und jede Österreicherin konnte für ein paar Schilling einen Quadratmeter Au „freikaufen“. Die damalige Regierung hat eingelenkt und schließlich die Kraftwerkspläne gestoppt, eine Ökologiekommission wurde eingerichtet – in Summe gab es fast zwölf Jahre lang Diskussionen, bis schlussendlich im Jahr 1996 der Nationalpark Donau-Auen gegründet wurde.

Schloss Orth war im Mittelalter eine Wasserburg, dann Jagdschloss von Kronprinz Rudolf. Wie wurde es zum Nationalpark-Zentrum?

Mit der Errichtung der Schutzzone Nationalpark Donau-Auen wurde auch eine Nationalpark-Gesellschaft gegründet, die sich um die Verwaltung kümmerte. Die Gesellschaftsvertreter haben sich darauf verständigt, dass der Sitz des Nationalpark-Zentrums Schloss Orth sein soll. Diese Entscheidung war Anlass für eine grundsätzliche Renovierung des Schlosses. Seit 2005 ist nun Schloss Orth der Sitz der Nationalparkverwaltung sowie ein beliebtes Besucherzentrum mit Infostelle beziehungsweise Schauplatz von Ausstellungen. Das Nationalpark-Zentrum mit seiner Schlossinsel ist außerdem Treffpunkt und Ausgangspunkt für geführte Touren und Wanderungen in die Donau-Auen. Die multimediale Ausstellung DonAUräume ermöglicht Besucherinnen und Besuchern, die Aulandschaft aus verschiedensten Perspektiven zu erleben. Die Schlossinsel – das Erlebnisgelände des Zentrums – lädt mit verschiedenen Stationen zum Beobachten von heimischen Tieren und Pflanzen ein. Es gibt eine Unterwasserstation mit spannenden Einblicken in, unter und über ein Altarmgewässer: Heimische Donaufische wie Sterlet, Rotauge, Schied und Brachse in ihrem natürlichen Habitat zu beobachten, ist kein alltägliches Erlebnis. Spurenstationen mit Fährten, Federn und Geräuschkulissen führen die Besucher:innen in die Lebensräume von so manch scheuen Au-Bewohnern.

Wie würden Sie die Atmosphäre im Nationalpark beschreiben?

„Aue“ ist Mittelhochdeutsch und bedeutet „Wasserwald“. Die spezielle Atmosphäre, die man hier hat, zeichnet sich eben genau durch diese Kombination aus Wasser und Wald aus. Wenn der Wind durch die Weiden und Pappeln zieht, dann ist das ein besonderes Rauschen; es hört sich anders an als beispielsweise in einem Buchenwald. Das Wasser und der Wald ergeben vielfältige Lebensräume – den Auwald, die Uferbänke, die Schotterinseln, die Altarme, die Tümpel, die Uferabrisse, die Heißländen, den Trockenrasen. Natürlich ist dadurch auch die Artenvielfalt beachtlich. Wir haben hier rund 33 Säugetier- und 100 Brutvogelarten, acht Reptilien- und 13 Amphibienarten, 67 Fischarten und eine reiche Fauna an land- und wasserlebender Wirbelloser, darunter 2.480 nachgewiesene Insektenarten.

Welche Tiere gibt es nur hier?

Im Nationalpark Donau-Auen gibt es ein ganz besonderes Vorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte. Wir finden hier die letzte intakte Population in Österreich vor, die wir auch ganz bewusst schützen. Das Gelege, in dem die Europäische Schildkröte ihre Eier ablegt, ist mit einem engmaschigen Gitter geschützt, damit Fressfeinde wie Fuchs oder Marder das Gelege nicht umgraben können und die Jungtiere eine Chance haben, zu schlüpfen.

Eine weitere bedrohte Art, die in den Donau-Auen ein Refugium gefunden hat, ist der Seeadler. Im Jahr 2000 galten Seeadler in Österreich noch als ausgestorben. In der Zwischenzeit haben wir sechs regelmäßig brütende Paare im Nationalpark Donau-Auen. In diesen beruhigten Bereichen findet der Seeadler mächtige Bäume, wo er seinen Horst bauen kann, wegen des Fischreichtums hat er auch genug Futter und kann sich gut weiterentwickeln. Der Seeadler hat sich hier also wieder seinen Lebensraum zurückerobert. Der Nationalpark Donau-Auen bietet mit seinen geschützten Kernzonen einen besonderen Lebensraum für viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Kindern erkläre ich es immer so: Hier leben die Tiere und Pflanzen und wir sind Gast.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Nationalpark und Naturpark?

Der Nationalpark ist – nach dem Wildnisgebiet – die strengste Schutzkategorie in Österreich, da gelten strenge Gesetze und Verordnungen. Im Nationalpark wird den natürlichen Prozessen der Vorrang gegeben, man gibt der Natur Zeit und Raum sich zu entwickeln. Darüber hinaus findet keine wirtschaftliche Nutzung statt. Das ist auch der große Unterschied zu den Naturparks. Das Ziel der Naturparks ist ebenfalls der Schutz einer Landschaft, allerdings immer in Verbindung mit deren Nutzung.

Wird dann im Nationalpark gar nicht in die natürlichen Prozesse eingegriffen?

Unser Leitmotiv ist „Freier Fluss und Wilder Wald“. Das heißt, wir setzen im Naturraummanagement Maßnahmen, die diese natürlichen Entwicklungen ermöglichen. Viele Menschen kennen die Donau als einen blauen Strom, der sich geradlinig durch die Landschaft bewegt. Das ist aber nur so, weil er reguliert wurde. Vor der Regulierung hat sich die Donau in verschiedenste Seitenarme gegliedert, führte natürlich schwankende Wasserstände und verlief mal ein bisschen südlicher, mal ein bisschen nördlicher. Wegen Hochwasserschäden, Siedlungsschutz sowie den neuen Anforderungen für die Flussschifffahrt wurde im 19. Jahrhundert die Donau reguliert. Steinbefestigungen am Uferrand sowie Querbauwerke haben die Donau sicherer und somit auch regulierter gemacht. Heute erkennt man den hohen Wert von Renaturierungsprojekten.

Mit einer Vielzahl von Projekten fördern wir den Rückbau der Steinbefestigungen, den Abbau von Traversen und anderen Strömungshindernissen, sodass die Donau wieder natürliche Ufer ausbilden und eine Dynamik für die angrenzende Aulandschaft entwickeln kann. Das Wechselspiel von Anlandung, Abtrag und Umlagerung bringt eine vielfältige Uferlandschaft hervor, die sich ständig verändert. Dadurch entstehen für viele gefährdete Arten wertvolle Lebensräume.

Und was passiert mit dem Wald?

Der wilde Auwald entwickelt sich ganz natürlich. Das heißt: Wenn Bäume alt werden, können sie einfach umfallen und im Wald liegen bleiben. Anderswo werden umgebrochene Bäume weggebracht bzw. werden sie schon in einem früheren Stadium forstwirtschaftlich genutzt. Bei uns im Auwald bleiben sie als Totholz liegen und bieten dann einen wertvollen Lebensraum für eine Vielzahl von Insekten, für Vögel, für unterschiedlichste Pilzarten. Der ökologische Kreislauf ist hier noch intakt.

Ergeben sich durch dieses Nichteingreifen auch Chancen?

Dazu gibt es ein Beispiel: In Österreich ist derzeit das Eschentriebsterben sehr virulent. Aus Asien wurde ein Pilz eingeschleppt, der dazu führt, dass die Esche abstirbt. In der Forstwirtschaft werden Eschen deshalb vorsorglich geschlägert. Auch im Nationalpark sind die Eschen davon betroffen. Aber bei uns können sie sozusagen krank werden und lernen, mit diesem Pilz umzugehen. Wir haben beobachtet, dass gewisse Eschen ganz gut mit diesem Erreger umgehen können und sogar eine potenzielle Resistenz entwickeln. Wir nehmen die Samen von den Mutterbäumen und züchten die potenziell resistenten Eschen in Zusammenarbeit mit Forschungsanstalten. Die Resistenzzüchtung ist ein vielversprechender Ansatz, um die Esche als eine wichtige Haupt- und Mischbaumart für die Waldwirtschaft und den Naturschutz in Österreich zu erhalten. Was man an diesem Beispiel sieht: An Orten, an denen natürliche Entwicklung zugelassen wird und der Mensch nicht eingreift, gibt es ein genetisches Reservoir, das man wiederum für die allgemeine Biodiversität nutzen kann. Das sind sehr spannende Perspektiven. 

Nationalpark Donau-Auen

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