Zitrusaromen und Kiefernadel-Kaugummi

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Der Waldökologe Artur Cisar-Erlach und die Alpengummi-Mitgründerin Sandra Falkner können beim Wandern durch den Wienerwald genau sagen, wie er schmeckt.

Auf dem Pecherlehrpfad bei Hernstein weiß Sandra Falkner auch ohne die Schautafeln, wie Harz „gepecht“ wird. Ihre natürlichen Kaugummis basieren auf dem Harz der Schwarzföhre, die dort wächst. Wie sie kennt auch Artur Cisar-Erlach den Geschmack dieser Wälder gut, denn er steht hinter dem Konzept von WienerWaldGenuss: Geführte Wanderungen im Wald, die zeigen, wie aromatisch Bäume schmecken können – und bei denen es auch den Alpengummi zu verkosten gibt.


Wenn ihr durch den Wald geht – denkt ihr dabei gleich an den Geschmack der Bäume?

Sandra Falkner: Man betrachtet den Wald schon mit anderen Augen, je mehr man über ihn weiß. Durch den Alpengummi kenne ich die Baumharze und ihren Geschmack. Ich habe auch Kosmetik aus den Ressourcen von Wald und Wiese gemacht, oder im Frühjahr mache ich Salat aus Baumblättern.

Artur Cisar-Erlach: Allein wegen der schönen Landschaft und starken Aromen beeindruckt mich der Wienerwald. Ich finde es aber immer wieder faszinierend, genauer hinzuschauen, wie groß hier die Diversität ist – und die Geschmacksvielfalt. Geschmacklich ist die Schwarzföhre oder -kiefer, die wir im Wiener Raum als autochthone Art sehen, mein Lieblingsbaum. Von ihr kann man alles verwenden: Aus den Nadeln mache ich Pesto oder Tee, aus dem Harz entsteht der Alpengummi oder man kann es zum Räuchern verwenden, die Rinde nehme ich gern zum Backen. Auch das Kambium ist essbar, die Schicht zwischen Holz und Rinde: mit dem hohen Vitamin-C-Gehalt quasi ein Superfood. Und es gibt noch so viele andere Bäume: Wurst- und Käsewaren werden mit dem Holz der Buche geräuchert, auch die neapolitanische Holzofenpizza wird damit gebacken. Lärche und Ahorn sind toll für Eistee oder Salat. Die Vanille- oder Schokolade-Note der Eiche kennen die meisten von Wein und Spirituosen wie Whisky. Nadelbäume gehen in die Zitrusrichtung.

Warum wird für den Alpengummi gerade Harz von der Föhre im Wienerwald genommen?

Sandra Falkner: Wir haben herausgefunden, dass in Niederösterreich das alte Handwerk der Pecherei zur Harzgewinnung aus Föhren noch existiert. Seine Blüte war in den 1950ern, dann geriet es in Vergessenheit. Heute werden Kaugummis mehrheitlich aus erdölbasiertem Plastik hergestellt. Uns kam die Idee, das durch ein natürliches Produkt zu ersetzen, das regional mit Rückgriff auf die Pecherei hergestellt werden kann. In Europa und weltweit sind wir die Einzigen, die das Föhrenharz für Kaugummis verwenden.

Artur Cisar-Erlach: Ich habe mir mit Sandra den Prozess des Pechens angeschaut. Jetzt sehe ich überall diese markanten Pechbäume. Viele der Schwarzföhrenwälder im Wienerwald wurden speziell fürs Pechen gepflanzt, weil es vor dem Erdöl so ein wichtiger Rohstoff war. Ich kann mir vorstellen, dass es in der Zukunft wieder wichtig wird.

Wie erkennen wir den Pechbaum, und wie kommt sein Harz in die Kaugummischachtel?

Sandra Falkner: Man sieht Einschnitte in der Rinde, gerade bei Hernstein oder Piesting. Ab und zu kann man an diesen Orten live sehen, wie Becher am Baum hängen: Im Frühjahr wird die erste Schicht Rinde abgetragen, dann tropft das Harz und wird so gesammelt. Danach wird es aufgereinigt und zu unserer Produktion in Wien geschickt, wo wir es mit den anderen Zutaten mischen – Bienenwachs und Birkenzucker für Zahnreinigung und Süße, Glyzerin zum Feuchthalten, Lecithin als Emulgator, Gummi Arabicum für die Konsistenz und natürliche Aromen. Dann portionieren und verpacken wir die Kaugummis.

Schmeckt man den Wienerwald heraus?

Sandra Falkner: Das Harz hat einen Eigengeschmack. An dem merkt man auf jeden Fall, dass es ein Produkt aus dem Wald ist. Du nimmst mit Waldprodukten teilweise viel mehr Ballaststoffe, Spurenelemente und Vitamine auf. Und ein paar Bitterstoffe. Dass die gewünscht sind, ist wieder im Kommen.

Artur Cisar-Erlach: Solche Bitterstoffe sind durchaus gesund, sie sind ja auch die Abwehrstoffe der Pflanzen selbst, ein Teil ihres Immunsystems.

Wie erfahren wir beim Wandern hier mehr über die Baumtypen und was sie für den Wald, aber auch für Kulinarik bedeuten? 

Sandra Falkner: Am Pecherlehrpfad sieht man bei gut beschilderten Stationen und an Bäumen, wie das Handwerk ausgeübt wurde und wird. Als 2011 die Pecherei in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO eingetragen wurde, haben sich auch „die KEAföhrenen“ gebildet. Ein Verein, in dem wir mit Alpengummi neben anderen Betrieben Mitglied sind, die mit der Schwarzföhre zu tun haben: von Restaurants bis zum Pechermuseum in Hernstein. Da geht es um den Erhalt des Wissens rund um den Baum. Der Name kommt von Kien, Kiefer. Es ist eine spannende Challenge, sich mit dieser und weiteren Baumarten zu beschäftigen und sie zu finden. Gerade im artenreichen Wienerwald, wo Laub- und Nadelbäume gemischt sind.

Artur Cisar-Erlach: Prinzipiell gilt dasselbe wie bei Pilzen: Erst, wenn man sicher ist, dass man den Baum richtig identifiziert hat, davon essen. Ich empfehle daher, mit Leuten in den Wald zu gehen, von denen man etwas lernt. Das ist bei WienerWaldGenuss möglich, das ich als weltweit einzigartiges Geschmackserlebnis direkt im Wald konzipiert habe: Die Idee dazu war geboren, als ich entdeckt habe, dass viele tagtägliche Lebensmittel von Bäumen stammen oder von ihnen beeinflusst sind. Mit den exklusiven Rundgängen durch den Wienerwald habe ich jetzt einen komplett neuen Zugang gefunden, wie man diese unbekannte Seite des Waldes vermitteln kann. Bei dem Konzept können Interessierte gemeinsam mit Naturvermittler:innen in das wunderbare Ökosystem Wienerwald eintauchen und die Geschmacksvielfalt seiner Bäume anhand von ausgewählten Lebensmittelprodukten aus der Region erkunden: Weine und Aceto Balsamico etwa, die im Wienerwald-Eichenholzfass ausgebaut werden, auch der Alpengummi ist natürlich dabei. Kleinigkeiten bereiten wir direkt im Wald zu. Und neben Wissen über Baumarten und Herstellung der Lebensmittel geben wir auch gerne Rezeptideen weiter.

Ist das Wissen wichtig für die Zukunft?

Artur Cisar-Erlach: Absolut, in mehrfacher Hinsicht! Die Schwarzföhre ist im Klimawandel interessant, weil sie gut angepasst ist an heiße, trockene und nährstoffarme Standorte. Im medizinischen Bereich wird zum Beispiel die Pechsalbe wieder eingesetzt. Auf kulinarischer Ebene finde ich es wichtig, zu wissen, dass man nicht nur Holz, sondern alles verwerten kann: Wie Nose-to-Tail bei Tieren, gibt es vom Wipfel bis zur Wurzel unglaublich viele Aromen und Gerichte zu entdecken. Ganz nebenbei kann man über das Verkosten von Bäumen eine breite Palette an Informationen vermitteln – etwa über Biodiversität. Das ist auch, wo wir eben bei WienerWaldGenuss ansetzen: Wenn die Naturvermittler:innen bei diesen Wanderungen den Leuten von Bäumen zu kosten geben, können sie eine ganz andere Beziehung zum Wald herstellen. Und außerdem schmeckt es wunderbar!

Termine WienerWaldGenuss 2024: