Als vor rund 300 Jahren das Habsburgerreich am Zenit seiner Macht stand, ließen Adel und Klerus Niederösterreich, damals neben Wien der Mittelpunkt des Imperiums, mit Prachtbauten überziehen. Die damals errichteten Schlösser, Gärten, Klöster und Kirchen gehören zum Prachtvollsten, was in Mitteleuropa im Barockstil errichtet wurde
Die Türkengefahr gebannt, der Protestantismus in die Schranken gewiesen, der wirtschaftliche Verfall gestoppt: Um 1700 sonnten sich die Habsburger im Glanz der errungenen Siege und im Hochgefühl absolutistischer Macht. Der umfassende und nachhaltige Aufschwung hatte auch Auswirkungen auf Architektur und Bildende Kunst, die eine enorme Dynamik entfalteten. Die neue Lebensfreude fand im Barock ihren adäquaten Kunststil: überbordende Farben und Formen, eine Liebe zu Symmetrie und prunkvolle Verzierungen prägten Gebäude, Gemälde und Skulpturen. Ein regelrechtes Baufieber brach aus, prachtvolle Paläste, Kirchen und Schlösser mit großzügigen Parkanlagen repräsentierten den neuen feudalen Lebensstil von Fürsten und Klerus. Hotspot war neben Wien Niederösterreich, in das sich einerseits der Adel zur Erholung und zum Feiern zurückzog, und wo andererseits zahlreiche Klöster über ausreichend finanzielle Mittel hatten, um die berühmtesten Architekten und Maler anzuziehen.
Einige der monumentalsten Barockbauten in Niederösterreich gehen direkt auf die Habsburger zurück. So plante z. B. Kaiser Karl VI., aus Stift Klosterneuburg eine neue Kaiserresidenz zu machen. Vorbild war der Escorial bei Madrid, nur größer und großartiger sollte die österreichische Version werden. Als Karl VI. 1740 zehn Jahre nach Baubeginn starb, wurden die Arbeiten bei ungefähr einem Viertel des geplanten Ausmaßes eingestellt – und doch gehört das, was man heute sieht, zum Gewaltigsten und Prachtvollsten, was im Barock gebaut wurde.
Karls Tochter Maria Theresia stand ihrem Vater als Bauherrin wenig nach. Sie erwarb Schloss Hof, das von Prinz Eugen von Savoyen, dem Feldherrn ihres Vater großzügigst ausgebaut wurde, und schenkte das luxuriöse Anwesen ihrem geliebten Gatten Franz Stephan von Lothringen, damit dieser sich hier „von der Last des Regierens erleichtern“ konnte. Sozusagen im Paket mit Schloss Hof erstand Maria Theresia Schloss Niederweiden, das als Jagdrefugium diente. Mit Schloss Laxenburg, das unter Maria Theresia zu heutiger Größe ausgebaut wurde und der Burg in Wiener Neustadt, die zur Militärakademie umgewandelt wurde, besitzt Niederösterreich zwei weitere große historische Anlagen mit starkem Bezug zur Kaiserin.
Neben Stift Klosterneuburg wurden praktisch alle weiteren Klöster in Niederösterreich im Barock um- oder ausgebaut. So zählt das an einen Palast erinnernde Stift Melk beispielsweise zu den bedeutendsten Barockensembles Europas. Aber auch Stift Göttweig beeindruckt durch die barocke Monumentalität seiner Anlage – das Treppenhaus im Kaisertrakt gilt als eines der größten und schönsten Europas. Die Benediktinerabtei Altenburg wird gerne als „Barockjuwel des Waldviertels“ bezeichnet – hunderte von Engeln prägen das Bild. Und das wegen seiner rechteckigen Form als „Vierkanter Gottes“ bezeichnete Stift Seitenstetten ist mit einer reichen Sammlung barocker Skulpturen und Gemälden großer Meister ein beliebtes Ziel für Kulturreisende.
Unzählige Kirchen erhielten im Barock ihr heutiges Aussehen. Wer auf der Suche nach den schönsten Exemplaren ist, wird vor allem in den Stiften fündig. Als besonders prächtige Barockkirche gilt die Stiftskirche Melk. Ein Schmuckstück und das Wahrzeichen der Wachau ist die ehemalige Stiftskirche von Dürnstein. Und die Kirche von Stift Herzogenburg ist der bedeutendste Bau des österreichischen Spätbarocks. Erwähnung verdient auch die Basilika auf dem Sonntagberg, die vom Dreamteam des niederösterreichischen Barocks – dem Baumeister Jakob Prandtauer und seinem Neffen Josef Munggenast – errichtet wurde. Für die Wand- und Deckenmalerei wurde der Wiener Künstler Daniel Gral herangezogen, der für viele Kunsthistoriker am Sonntagberg sein sakrales Meisterwerk schuf.
Schloss Hof und die vielfältige Anlage in Laxenburg sind wohl die prachtvollsten und größten barocken Schlösser Niederösterreichs. Der Besuch anderer Schlösser lohnt aber ebenfalls, nicht nur aus kunsthistorischen Gründen. So beherbergen z. B. das Kellerschlössl Dürnstein und Schloss Gobelsburg zwei der besten österreichischen Weingüter. Das romantische Schloss Rosenau ist ein Hotel und wird gerne für Hochzeiten genutzt. Und im Garten von Schloss Schilternhttp://www.schiltern.at/schloss.html ist der Schaugarten des Vereins Arche Noah untergebracht, der sich fast verlorener Kulturpflanzen angenommen hat.
Nicht nur die Schlösser, sondern auch die Gärten im Barock dienten dazu, die Macht und den Wohlstand der absolutistischen Fürsten zu demonstrieren. Der vollständig revitalisierte Barockgarten von Schloss Hof gehört zu den beeindruckendsten Anlagen in Europa. Hier präsentieren sich die kunstvollen Broderiebeete wieder in ihrem ursprünglichen Farb- und Formenreichtum, erstrahlen mächtige Brunnenanlagen und eindrucksvolle Skulpturen erneut im alten barocken Glanz, und bilden Hecken und Bäumchen wie vor Jahrhunderten zauberhafte, verwinkelte Nischen und Laubengänge. Weitere sehenswerte Grünanlagen aus dieser Zeit sind die von acht Alleen durchzogene Jagd-Parkanlage von Schloss Obersiebenbrunn, die Klostergärten von Stift Melk und Stift Seitenstetten, der Garten von Schloss Harmannsdorf sowie jener von Schloss Schönborn, der heute teilweise als Golfplatz genutzt wird.
Bei all der Pracht und dem Reichtum der Schlösser und Klöster vergisst man gerne, dass im Barock auch kleiner und feiner gebaut wurde. Der Prandtauerhof in Joching war einst der Lesehof des St. Pöltner Chorherrenstiftes und ist heute Sitz des Weinguts und Restaurants der Familie Holzapfel. Das in St. Pölten beheimatete Institut der Englischen Fräulein wurde 1706 im Geiste der englischen Ordensgründerin Maria Ward als Kloster und Unterrichtsstätte für adelige Mädchen errichtet. In der Kurstadt Baden ist mit dem Josefsbad noch ein barockes Bad erhalten, heute dient es allerdings als Restaurant. Das Lenautheater in Stockerau ist in einem barocken Gebäude untergebracht, in dem einst Bier gebraut wurde. Und ein Beispiel eines barockes Amtsgebäudes steht in Pulkau – das dortige Rathaus wurde 1659 errichtet und im Spätbarock noch einmal mit allerlei schmuckem Zierrat nachverfeinert.